Jazzdiskurs 202 / 14.11.19 / 19.30 Uhr / Simon Phillips & Protocol

Das Lineup hier mit einigen der besten Studiomusiker der Welt:

Simon Phillips
Drummer, Composer, Producer, Engineer

Greg Howe
Guitar

Otmaro Ruiz
Pianist, Composer

Ernest Tibbs
Bass

Simon Phillips, geboren 1957, ist ohne jeden Zweifel einer der produktivsten Session-Schlagzeuger Englands. Besucht man seine Internetseite und macht man sich die Mühe, sämtliche alphabetisch gelisteten Einträge zu zählen, kommt man auf etwa 359 Alben, Kollaborationen und sonstige Projekte, an denen er entweder hinter den Reglern oder hinter den Fellen mitgewirkt hat. Und Phillips’ Kollegen beziehungsweise Auftraggeber lesen sich wie ein Who’s Who der Rockmusik: Mick Jagger, Mike Oldfield, The Who, Peter Gabriel, Dave Gilmour, und neben unzähligen anderen natürlich auch Toto, mit denen er meistens in Verbindung gebracht wird.

Mit “Protocol” wollte sich Simon Phillips bereits 1988 den Traum eines eigenen Studioalbums erfüllen. Im Alleingang aufgenommen, verkaufte er das Mini-Album zunächst im Rahmen von Drum-Clinics. Später fand – von allen Labels! – Music For Nations (u.a. die Thrasher Metallica, Nuclear Assault, aber auch ehedem Anathema und Opeth) Gefallen an den Aufnahmen und veröffentlichte die CD unter ihrem Dach.

Auf “Protocol” folgten in den 90ern eine Reihe von Soloalben, u.a. die von Jazz-Fusion beeinflussten “Symbiosis” und “Another Lifetime”, sowie eine Dekade später “Vantage Point”, ein Ausflug in klassischere Bebop-Gefilde. Auf Phantom Recordings ist nun vor ein paar Monaten das vierte in der Reihe der „Protocol“-Alben erschienen. Als die lebende Drum-Legende, die Simon Phillips in den Augen Vieler ist, dürften Beziehungen und Kontakte in der Szene kein Problem darstellen. Das wird einem auch deutlich klar, wenn man kurz die Liste derer überfliegt, die ebenfalls das Phantom-Recordings-Studio genutzt haben: Mike Portnoy, Derek Sherinian, Joe Satriani, Planet X… Der Kreis schließt sich also – Phillips hat Planet X produziert und für Sherinian wie auch Satriani gespielt. Der Mann kommt rum, das muss man zugeben.

Der Sound der “Protocol”-Alben – und im Endeffekt auch der vorliegenden Scheibe – bewegt sich im Bereich von melodischem Jazzrock und Fusion. Die Kompositionen sind um teils eingängige, teils komplexere Themen herum aufgebaut, die von Solopassagen, hautpsächlich der Gitarre und des Keyboards, begleitet und überbrückt werden. Die Performance der Mitwirkenden – Greg Howe (Gitarre), Ernest Tibbs (Bass), Dennis Hamm (Keyboard) und Phillips selbst (Schlagzeug) – ist dabei über jeden Zweifel erhaben; eine hohe Präzision und Virtuosität ermöglichen es, die relativ anspruchsvollen Rhythmusfiguren und Riffs umzusetzen. Passionierte Musiker kommen bei diesem Album definitiv auf ihre Kosten, schließlich kann man sich verzwickte Nummern wie ‘Nimbus’, ‘Pentangle’ oder ‘Azorez’ gut als Material für künftige Übungssessions vorstellen. ‘Phantom Voyage’ steht hingegen etwas außerhalb dieser kraftstrotzenden Titel, beweist aber auch Gespür für detailliertere Zwischenräume und Nuancen im Spiel.

Hohe Anerkennung verdient zudem das wunderbar transparente und druckvolle Klangbild, das dank idealer Abmischung jeden Akteur genau dort in den Raum setzt, wo er hingehört. Das Schlagzeug, obwohl ein Simon-Phillips-“Solo“-Projekt, drängt sich dabei glücklicherweise nicht penetrant ins Rampenlicht.

Simon Phillips ist ein wahnsinnig guter Handwerker, ein Profi, dem man so einfach nicht das Wasser reichen kann. Er gehört zu den technisch Vollkommenen, die jedes Genre beherrschen und komplizierteste Songs im Schlaf spielen können. Doch auf der anderen Seite stehen die Visionäre, die vor allem von einem Narrativ oder einer originellen, musikalischen Idee zehren. Das braucht oder will Phillips nicht. Die Musik auf Protocol ist – selbstredend – instrumental, more-of-the-same. Faszinierend sicher, jedoch ohne Aussage. Ähnlich wie das Cover: Glasklar und perfekt, aber auch unterkühlt und distanziert.

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